PSYCHONEUROIMMUNOLOGIE IM LAUF DES LEBENS – Gesundheitselexier Beziehung
Schon der Titel „Psychoneuroimmunologie im Lauf des Lebens – Gesundheitselexier Beziehung“ und die Auswahl der Referenten ließen erahnen, daß es bei diesem nun endlich wieder in Präsenz stattfindenden Kongreß um Besonderes gehen würde. Veranstaltet von Christian Schubert, Universitäts-Professor an der Medizinischen Universität Innsbruck und von Karl-Heinz Ladwig, Universitäts-Professor an der Technischen Universität München, beeindruckte die Auswahl der Referenten: z.B. mit der bekannten Bindungsforscherin Anna Buchheim, „unserem“ Neurowissenschaftler Damir del Monte, Christine Heim, Heiner Keupp, Günter Schiepek oder Harald Walach.
Bereits mit dem ersten Vortrag von Christine Heim über „developmental programming“ wurde ebenso wie in vielen weiteren Beiträgen deutlich, wie fatal frühe Stresserfahrungen im Leben sind und wie diese lebenslang das Erkrankungsrisiko erhöhen können. In eindrucksvoller Weise konnte sie nachweisen, wie lebensgeschichtlich frühe Stressbelastungs-Erfahrungen zu einer Sensibilisierung des CRF-Systems führen und weitere Schaltkreise stören können, die HPA-Achse verstellen und die Cortisol-Produktion ungünstig beeinflussen, durch epigenetische Effekte Demethylierung geschehen und sich Inflammationswerte erhöhen können.
Anna Buchheim sprach in gewohnt eindrucksvoller Weise über transgenerationale Risiko- und Resilienzfaktoren bei der Weitergabe von Bindungssicherheit, z. B. die Auswirkungen auf die Herzratenvariablitität, die Oxytocin-Ausschüttung und Covid-Resilienzen.
Heiner Keupp lieferte Erschreckendes mit seinem Beitrag zur sexualisierten Gewalt an Kindern und Jugendlichen und ihre biologischen Folgen, der Dermatologe Uwe Gieler erläuterte die Zusammenhänge von Beziehungsfähigkeit und Psychodermatologie.
Damir del Monte beeindruckte wieder einmal mit seinem sehr lebendig präsentierten Beitrag* „Die Macht der Berührung“*, vermittelte, wie elementar das „affective touch system“ ist daß das taktile System weder optional noch verhandelbar, sondern überlebens-wichtig ist und über die C-Fasern ein Teil des homöostatischen Systems ist, was in der Wissenschaftswelt gegenwärtig an Bedeutung zu gewinnen scheint.
Harald Walach verwies in seinem sehr methodenkritischen Beitrag auf die Denkfehler der evidence based medicine und plädierte für mehr Zirkularität in der Forschungsmethodik statt hierarchischem Denken.
Christian Schubert führte diese Gedanken weiter und forderte unter anderem nicht nur eine Anpassung der Methoden an den Inhalt statt umgekehrtem Vorgehen, sondern vor allem eine Überwindung des Maschinendenkens in der Medizin zugunsten der Wertschätzung und Beachtung von Beziehung, zwischenmenschlichen Bedingungen und Erhöhung der Lebensqualität. All seine Erkenntnisse belegte er mit eindrucksvollen Daten aus der Forschung zur Psychoneuroimmunologie und erntete dafür wiederholt Zustimmung und Applaus.
Günter Schiepek schließlich betonte die psychosoziale Dimension integrativer Einzelfallforschung und erläuterte in eindrucksvoller Weise interventionsbezogene Veränderungsprozesse im Therapieverlauf unter der Perspektive der Selbstorganisation.
Karl-Heinz Ladwig verwies auf den Cross-talk der Stressachsen angesichts der immuntoxischen Wirkung von Einsamkeit vor allem bei Menschen im Alter.
Dr. Dr. Damir del Monte explizierte in beeindruckender Weise in seinem Workshop die neuen Erkenntnisse der Schmerzforschung, daß Schmerz als Ausdruck der homöostatischen Selbstregulation des Körpers offensichtlich auf viel „höheren“ Ebenen verarbeitet und umgeschaltet wird als man dies bislang geglaubt hatte und vermittelte dementsprechend neue Möglichkeiten therapeutischer Interventionen.
Insgesamt gesehen bestach dieser Kongreß durch die Präsentation brandaktueller Forschungsergebnisse zu Trauma, Stressverarbeitung und die Verbindungen zum Immunsystem und machte wieder einmal deutlich, wie sehr sich das Gesundheitssystem und die Medizin in ein Maschinen-Paradigma vom Menschen verrannt haben, wo der Mensch als leidendes Subjekt, das aber auch über Selbstorganisation und Selbstheilungskräfte verfügt, kaum mehr vorkommt. Nahezu alle Referenten setzten sich in sehr wohltuender Weise für ein Umdenken ein, den Menschen wieder als ein Beziehungswesen wahrzunehmen und individuelle therapeutische Interventionen auf der Beziehungsebene wieder mehr in den Fokus zu nehmen. So kann man diesen Kongreß nicht nur angesichts der Fülle neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern auch angesichts der zwischen-menschlichen Grundhaltung und Orientierung an Beziehung als „Beziehungselexier“ als sehr gelungen betrachten, den Referenten für ihre mutigen Positionierungen danken und sich auf den 4. PNI-Kongreß freuen, der für 2024 geplant ist.
Gerhard Wolfrum, München, 20.10.2022