Lizensierte Ausbildung

Brainspotting bei frühkindlichem Trauma


Fall 5 – Brainspotting bei frühkindlichem Trauma – Dezember 2022

Wie Brainspotting den Körper und die Selbstwahrnehmung ziemlich schnell entlasten kann

Bericht einer Patientin zu ihren Erfahrungen mit Brainspotting

„Im Alter von 6 Monaten wurde ich aufgrund einer Skoliose im Brustwirbelbereich einer orthopädischen Behandlung unterzogen. Der Skoliose musste entgegengewirkt werden, sodass mir eine Gipsliegeschale angepasst wurde. Um diese anzupassen, musste ich narkotisiert werden. Darin war ich dann täglich 23,5 Std fixiert. In liegender Haltung, den rechten Arm über den Kopf gebogen, an Armen und Beinen angegurtet. Die Behandlung hatte eine Dauer von 18 Monaten.
Meine Herkunftsfamilie bestand damals aus meinen Eltern und einer 13 Monate älteren Schwester. Meine Mutter war mit der damaligen Situation überfordert. Ihre Überforderung äußerte sich in zeitweiligem Zorn und Gereiztheit, wie sie mir später schilderte. Auch ärgerte sie sich darüber, wenn Außenstehende mir Mitleid entgegenbrachten, worauf sie zickig oder aggressiv und abweisend reagierte. Sie war extrem gestresst in ihrer damaligen Situation. Mein Vater, der selbständiger Friseurmeister war, versprach meiner Mutter in seiner Verliebtheit, dass sie nie arbeiten werden müsse. Zur Gründung des Friseursalons entschlossen sich meine Eltern, ein 5-stöckiges, schwer renovierungsbedürftiges Haus zu kaufen. Meine Mutter, gelernte Säuglingsschwester, hatte uns Kinder versorgt, im Friseursalon mitgeholfen und ist den regelmäßigen Terminen beim Orthopäden nachgekommen. Mein Vater leitete den Friseursalon, bildete Lehrlinge aus und renovierte in den Abendstunden das Haus. Raum um Raum, um über Mieteinnahmen weitere Einkünfte für die Familie zu schaffen. Die damaligen Umstände brachten meine Mutter in eine extreme Belastungssituation. Zudem die Nichterfüllung des Versprechens, nie arbeiten zu müssen, worüber sie sich ihr Leben lang beklagte. War meine Mutter im Friseursalon, wurden meine Schwester und ich stundenlang alleine gelassen. Darunter litt meine Mutter, was sich immer in Gereiztheit äußerte, so berichtete sie. Mein Vater sprach nie davon, dass er jene Zeit überfordernd erlebte, er blickte eher stolz auf das Erschaffene.
Im Laufe meines Lebens habe ich innerfamiliär in sehr vielen Bereichen Verantwortung übernommen, die nicht meinem Zuständigkeitsbereich und meiner Rolle des Kindseins entsprachen. Aufgrund zunehmender, nicht enden wollender vielschichtiger Anforderungen bis Überforderungen innerhalb der Familie erwiesen sich meine Kompetenzen als sehr nützlich und hilfreich. Woraus sich häufig eine Zuteilung dementsprechender und verantwortungsvoller Aufgaben ergab, die ich auch gerne aufsuchte. Durch mein empathisches Wesen konnte ich innerfamiliäre Konfliktsituation recht schnell analysieren, Vorkommnisse oder auch Gefühle und Stimmungen altersgemäß benennen. Die Beziehung zu meiner Mutter entwickelte sich ambivalent, für uns beide. In Konkurrenz stehend. Als Kind und Jugendliche lud meine Mutter regelmäßig unvorhersehbar und unbegründet ihren Zorn an mir ab. Nie konnte ich verstehen, warum. Immer hatte ich den Eindruck, weil ich es war. Weil ich existierte. Somit fühlte ich mich immer mehr motiviert, sie in ihren Schwachstellen zu provozieren, was mir gut gelang. Mein Vater bestätigte mein Empfinden, als Blitzableiter zu fungieren. Ob es diesbezügliche 4-Augengespräche unter den beiden gab, weiß ich nicht. Als Erwachsene wurde ich einerseits bedrohlich und andererseits haltgebend für meine Mutter. Ich fungierte als Ratgeberin, Macherin, Konfliktmanagerin und Notfallversorgerin. Alle mir zugeteilten Aufgaben wurden immer zufriedenstellend erledigt. Für mein Handeln wurde mir viel Vertrauen entgegengebracht. Meine Mutter war extrem eifersüchtig auf mich. Auf mein Leben, auf meine Freundschaften, auch auf meine Beziehung zu meinem Vater. Ich hatte mich zu einer mutigen und kämpferischen Frau entwickelt, die keine Verantwortung scheute. Während meiner letzten 10 Lebensjahre, quälten mich zunehmend die Empfindung, zu viel Verantwortung übernommen zu haben. Tatsächlich hatte ich keine Vorstellung, wie ich das Gefühl des Zuständig-Seins loslassen konnte. Die Biographie-Arbeit in der Ausbildung zur Kunsttherapeutin eröffnete mir, zum ersten Mal, den Blick auf mögliche Auswirkungen meiner Zeit im Gipsbett.
2020 begab ich mich auf sie Suche nach einer Therapeutin, nach dem meine Eltern innerhalb von zwei Wochen verstorben waren und mich einige quälenden Fragen bedrängten. Meine Suche richtete sich nach der Methodenvielfalt der Therapeutin, wie EMDR, Hypotherapie und nicht zuletzt nach ihrer Erscheinung. Mir war bewusst ein Trauma erlitten zu haben. Ich fand Frau Dipl.-Psych. Caya Ersfeld in Nürtingen, die therapeutisch offensichtlich breit aufgestellt war.
In den Sitzungen habe ich viel über die konflikthafte Beziehung zu meiner Mutter und in den letzten Jahren auch die zunehmenden Konflikte mit meiner Schwester berichtet. Darin erfuhr ich sehr hilfreiche Beratung und die Aussicht, dass mir geholfen werden kann. Meine Therapeutin stellte mir die Frage, ob ich Schuld übernommen habe? In der darauffolgenden Sitzung konnte ich die Überlegung mitbringen, mich schuldig gefühlt zu haben, weil ich durch meine Geburt und mein Dasein viel Unheil über die Familie gebracht habe. Ich vermutete, dass dies dazu führte, dass ich Schuld für mein Dasein abarbeiten musste. Helfen musste, wo es nur geht.
Meine Therapeutin schlug mir vor, Brainspotting (BSP) durchzuführen. Ein frühkindliches Trauma könne durch BSP Entlastung erfahren. Bis dahin hatte ich keine Erfahrungen mit BSP gemacht. Die Methode war mir nicht bekannt. Mein Empfinden während des Brainspottings verlief folgendermaßen: In der therapeutisch angeleiteten Vorbereitung zur Durchführung von BSP empfand ich recht schnell tiefe Trauer und emotionale Erregtheit. Als ich dem Zeigestab mit meinen Augen folgte, gab es eine Stelle an der sich eine Art Schmerz und starkes Unbehagen zeigte. Die Anwendung dauerte ungefähr 20 Minuten. Zwischendrin hatte ich den Eindruck, irgendetwas loslassen zu wollen, wozu ich mir etwas Zeit nehmen musste und was mich ein wenig Überwindung kostete. Ich fühlte mich erst einmal erleichtert sowie erschöpft. In den darauffolgenden Tagen veränderte sich mein Empfinden entlastend und erleichternd, konnte dieses aber gar nicht genau zuordnen. Vielmehr war es eine Gesamtstimmung.
In der Nachwirkung half mir, die Verantwortung / Schuld sukzessiv loszulassen und verabschieden zu können. Dies erleichterte mir, Aufgabenbereiche freizugeben, ohne mich schuldig zu fühlen, Menschen im Stich zu lassen oder nicht meiner „Pflicht“ nachzukommen. Mein grenzüberschreitendes Verhalten wurde mir noch bewusster, sowie die kontrollierenden Aspekte. Gleichzeitig zeigte sich, dass sich mein bis dato auftretendes Obrigkeitsempfinden überraschend veränderte. Autoritätspersonen erschienen mir gleichgestellter. Die Sorge oder Angst, nicht berechtigt zu sein, Anliegen bei Autoritätspersonen vorzubringen, löste sich nahezu auf. Nichtsdestotrotz habe ich davor meine Interessen immer vertreten. Jedoch handelte ich eher angespannt, häufiger aus dem Gefühl heraus, nicht berechtigt zu sein. Das ist unerwarteterweise verschwunden. Dadurch hat sich auch mein Empfinden in Teamsitzungen verändert. Wenn ich fachliche Einwände oder Ideen vertrete, wenn kontrovers diskutiert wird, kann ich dies heute tun, weil ich mich gleichgestellt, gleichwertig und berechtigt fühle“.

Hier der Bericht der behandelnden Psychotherapeutin Frau Dipl.-Psych. Caya Ersfeld:

„Mitte Februar letzten Jahres habe ich mit der Klientin in der 6. Sitzung ein erstes Mal Brainspotting durchgeführt. Es ging um die frühkindliche Erfahrung der Klientin, über einen längeren Zeitraum in einem Gipsbett fixiert und dann alleine gelassen worden zu sein. Wir hatten zuvor eine gute therapeutische Beziehung aufbauen können. Die Klientin war, wie sich dann herausstellte, außerordentlich zugänglich für BSP. Sie kam schnell in ihr Thema hinein: Bei der Erinnerung an ihre Erfahrungen mit dem Gipsbett fühlte sie sich eingesperrt, eingeklemmt und hatte das Gefühl, verlassen zu werden. Physisch spürte sie diese Gefühle als Druck im Brustkorb. Der SUD lag bei 8 – 10, den Brainspot fanden wir über das äußere Fenster. Es folgte ein heftiger, d.h. emotional sehr intensiver und sehr schneller Prozess. Während des Prozessierens spürte die Klientin nacheinander Belastungen im ganzen Körper. Nach ca. 12 Minuten war der BSP-Prozess bereits zu einem Ende gekommen mit einem SUD = 0 und STL (squeezing the lemon) ebenfalls = 0.

Nach Beendigung der BSP-Intervention kommentierte die Klientin das Ganze mit “krass”. Sie sei sehr aufgewühlt, fühle sich gleichzeitig sehr leicht und beinahe schwebend. Sie könne es gar nicht glauben und fühle sich überwältigt in einem positiven Sinne. Es sei schön für sie, die Erfahrung zu machen, den Schmerz loszulassen.

In nachfolgenden Sitzungen mit der Klientin hat sich die Bewältigung der Belastungen durch die Erfahrung im Gipsbett als nachhaltig gelöst erwiesen. Die Verbesserungen sind stabil geblieben und die bedrückten Gefühle und die Angst, verlassen zu werden, die im Zusammenhang mit der Erfahrung im Gipsbett standen, sind nicht wieder gekommen. Die erste BSP-Sitzung haben wir in der sechsten Sitzung durchgeführt, danach – in der 7. Sitzung – haben wir mit einer für die Klientin außerordentlich bedrückenden Selbstwahrnehmung gearbeitet. Sie wusste, dass diese irrational war, aber sie hatte bislang mit keinem ihrer Versuche, dies zu verändern, Erfolg gehabt. Wieder war der BSP-Prozess sehr intensiv und sehr schnell. Wieder hat die Klientin mit einem hohen SUD von 7 – 8 begonnen und konnte den Prozess mit SUD = 0 und STL = 0 beenden. Auch dieser Erfolg der BSP-Behandlung blieb konstant verbessert. Danach haben wir nicht mehr mit BSP gearbeitet. Die Klientin hatte das Anliegen, mit anderen Verfahren weiter zu arbeiten“.